Aktuelles von Cochrane Rehabilitation
08.08.2022
Im aktuellen Cochrane Newsletter (Juli 2022, Issue 54) werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen. Der erste Artikel untersucht die Effektivität von Fortbildungsinterventionen für Professionelle, die in der Primärversorgung Menschen mit chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen (COPD) begleiten, der zweite Artikel die Effektivität von Musiktherapie für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen.
In der ersten Übersichtsarbeit wurde die Effektivität von Schulungsinterventionen untersucht, die sich an Professionelle richten, um die Therapie von Menschen mit COPD zu verbessern (https://doi.org/10.1002/14651858.CD012652.pub2). In Deutschland sind rund 6,8 Millionen Menschen von einer COPD betroffen. Häufige Symptome sind Husten und eine vermehrte Schleimproduktion. COPD ist mit erhöhter Morbidität, Mortalität und Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen assoziiert. Die Arbeitsgruppe um Amanda Cross untersuchte die Effekte auf Zielgrößen, wie korrekte Diagnosestellung, den Anteil von Patientinnen und Patienten, die an medizinischen Rehabilitationen teilnahmen, und den Anteil von Patientinnen und Patienten mit leitliniengerechter Medikation (primäre Zielkriterien). Insgesamt konnte die Arbeitsgruppe 38 Studien mit 4936 Menschen in Gesundheitsfachberufen und 71.085 Patientinnen/Patienten einschließen. Interventionen umfassten u. a. Präsenzschulungen und Onlineschulungen, praktische Hilfen wie Algorithmen zur Diagnosestellung, Bereitstellung von Leitlinien oder Schulungen zur Spirometrie. Verglichen wurden die Interventionen mit der üblichen Versorgung. Angesprochen wurden vor allem Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte, aber auch Pflegefachkräfte und therapeutische Berufe. Die Ergebnisse hinsichtlich der definierten primären Zielkriterien waren heterogen und zeigten keinen klaren Vorteil zugunsten der Interventionen. Die Interventionen konnten den Anteil der Patientinnen/Patienten, die sich gegen das Influenza-Virus impfen lassen, erhöhen (Evidenz von moderater Qualität). Darüber hinaus könnten die Interventionen die Zufriedenheit mit der Versorgung verbessern (Evidenz von moderater Qualität). Die Sicherheit der Ergebnisse war durch methodische Limitationen und die große Heterogenität der Studienergebnisse eingeschränkt.
In der zweiten Übersichtsarbeit wurde der Einsatz von Musiktherapie in der Behandlung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen untersucht (https://doi.org/10.1002/14651858.CD004381.pub4). Für Deutschland wird die aktuelle Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen auf 1 % geschätzt. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen haben besonders in der Kommunikation und dem sozialen Umgang mit Mitmenschen Probleme. Das kann große Auswirkungen auf die Inklusion oder auch die Lebensqualität haben. Eine aktuelle Übersichtsarbeit prüfte daher die Effektivität von Musiktherapie auf Zielgrößen wie Symptomschwere, Lebensqualität und non-verbale Kommunikation. Musiktherapie wird seit den 1950er-Jahren in der Therapie eingesetzt und soll die Kommunikation mit anderen Menschen und die Fähigkeit, sich selbst auszudrücken, unterstützen. Die Arbeitsgruppe um Monika Geretsegger aktualisierte dazu eine bestehende Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014. In der Aktualisierung konnten 16 neue Studien berücksichtigt werden. Damit erhöht sich die Zahl der eingeschlossenen Studien auf 26 und die Zahl der eingeschlossenen Personen auf 1156. Die Intervention wurde meist mit Placebo oder keiner Intervention verglichen. Besonders kurz- und mittelfristige Effekte (drei Tage bis acht Monate) wurden betrachtet. Die Symptomschwere reduzierte sich direkt nach der Intervention deutlich (SMD = −0,83, 95-%-KI: −1,41 bis −0,24; neun Studien, 575 Personen). Zusätzlich wurde eine leicht verbesserte Lebensqualität beobachtet (SMD = 0,28, 95-%-KI: 0,06 bis 0,49, drei Studien, 340 Personen). Adverse Ereignisse wurden in den Studien nicht dargestellt. Die Sicherheit der Befunde war moderat. Besonders schwer gestaltet sich nach Aussagen der Autorinnen und Autoren die Übertragbarkeit auf andere Altersgruppen: In den Studien wurden fast nur Kinder und junge Erwachsene eingeschlossen.
21.06.2022
Im aktuellen Cochrane Newsletter (Juni 2022, Issue 53) werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen. Die erste Arbeit untersuchte die Effektivität von medizinischem Cannabis bei Menschen mit Multipler Sklerose, die zweite Arbeit die Wirkungen gemeindebasierter Interventionen für die mentale Gesundheit geflüchteter Kinder und Jugendlicher.
In der ersten Übersichtsarbeit wurde die Effektivität des Einsatzes von medizinischem Cannabis bei Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose (MS) untersucht (https://doi.org/10.1002/14651858.CD013444.pub2). In Deutschland sind rund 240.000 Menschen von MS betroffen. Viele dieser Menschen leiden unter chronischen Schmerzen und spastischen Lähmungen. Diese Symptome werden im Verlauf der Erkrankung schlimmer und haben einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität und können erhebliche Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben zur Folge haben. Verschiedene medikamentöse Therapieansätze existieren. Diese haben Nebenwirkungen und von einigen Betroffenen nicht vertragen. Leitlinien haben in den vergangenen Jahren unterschiedliche Empfehlungen zum Einsatz von medizinischem Cannabis in der Behandlung von MS formuliert. Die Autorengruppe um Graziella Filippini prüfte daher die Effekte auf Zielgrößen wie Spastiken, Schmerz und Lebensqualität. Außerdem wurde das Auftreten adverser Ereignisse, psychischer Erkrankungen oder Abhängigkeit erfasst. Insgesamt berücksichtigte die Autorengruppe 25 Studien mit 3763 Patientinnen und Patienten, von denen 2290 Cannabinoide erhielten. Cannabinoide wurde in unterschiedlichen Verabreichungsformen und Herstellungsarten verwendet. Verglichen wurde die Interventionen meist mit einem Placebo und zwar jeweils in Ergänzung zur Standardtherapie. Medizinischer Cannabis reduzierte kurzfristig Spastiken (30-prozentige Reduktion nach 6 bis 14 Wochen: 287 von 1000 mit Placebo vs. 502 von 1000 mit Cannabis; 5 Studien; 1143 Personen), zudem wurde u. a. eine erhöhte Zahl psychischer Erkrankungen und adverser Ereignisse, die das Nervensystem betreffen, festgestellt. Diese Effekte bewegten sich auf ähnlichem Niveau wie für die Reduktion von Spastiken. Die Sicherheit der Befunde war v. a. durch die kurzen Studiendauer der eingeschlossenen Studien eingeschränkt.
In der zweiten Übersichtsarbeit wurden gemeindebasierte Interventionen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen untersucht (https://doi.org/10.1002/14651858.CD013657.pub2). Weltweit sind 50 % aller Geflüchteten Kinder und Jugendliche. 38 % aller Geflüchteten wurden nach Angaben der UN Refugee Agency von fünf Ländern aufgenommen. Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland (https://www.unhcr.org/refugee-statistics/). Geflüchtete haben häufig Gewalt, Folter oder Mord erfahren oder beobachtet, eine gefährliche Flucht erlebt und eine schwere Phase nach der Flucht mit Vulnerabilität, Armut, Diskriminierung und/oder kulturellen Barrieren erlitten. Viele geflüchtete Kinder und Jugendlichen leiden deswegen unter psychischen Erkrankungen oder könnten in Zukunft darunter leiden. Die Dunkelziffer wird als sehr hoch eingeschätzt. Die Übersichtsarbeit prüfte daher die Wirksamkeit gemeindebasierter Interventionen zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen. Gemeindebasierte Interventionen umfassten u. a. Unterstützung von Peers, kulturelle Freizeitaktivitäten, kognitive Verhaltenstherapie oder andere multimodale Interventionen. Verglichen wurden diese Interventionen mit der üblichen Versorgung. Untersuchte Zielgrößen waren u. a. Symptome von posttraumatischem Stress, Depressionen und Angst. Die Autorengruppe um Fatima Soltan berücksichtige Studien jeglichen Designs und schloss insgesamt 38 Studien ein, davon waren allerdings nur drei randomisiert kontrolliert. Die sehr kleinen randomisierten kontrollierten Studien konnten keinen Vorteil gemeindebasierter Interventionen zeigen. Adverse Ereignisse wurden nicht berichtet. Große randomisierte Studien sind aus Sicht der Autorengruppe dringend geboten, die Umsetzung ist aus vielerlei nachvollziehbaren Gründen aber sehr herausfordernd.
24.05.2022
Im aktuellen Cochrane Newsletter (Mai 2022, Issue 52) werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen. Die erste Arbeit untersuchte die Wirksamkeit von Ergotherapie bei kognitiven Einschränkungen nach Schlaganfall, die andere die Wirksamkeit von psychologischen Interventionen zur Reduzierung von Depression und Angst bei Demenz und anderen milden kognitiven Einschränkungen.
Die Übersichtsarbeit zur Ergotherapie ist ein Update einer bereits 2010 erschienen Arbeit (https://doi.org/10.1002/14651858.CD006430.pub3). Ein Jahr nach einem Schlaganfall haben ungefähr vier von zehn Patientinnen und Patienten noch kognitive Einschränkungen. Diese können z. B. die Merkfähigkeit oder die Verarbeitung von neuen Informationen betreffen. Der Review untersuchte die Effektivität von Ergotherapie für Zielkriterien, wie grundlegende Aktivitäten des täglichen Lebens (z. B. Anziehen, Essen und Baden), instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens und soziale Teilhabe, im Vergleich zu sonst üblicher Therapie. Insgesamt konnten die Autoren 24 Studien mit 1.142 teilnehmenden Personen in ihre Übersichtsarbeit einschließen. Die meisten der Studien waren sehr klein (weniger als 50 teilnehmende Personen). Die Unterschiede für die mit dem Functional Independence Score (FIM, 18 bis 126 Punkte) erfassten grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens legten einen geringen Vorteil zugunsten der geprüften ergotherapeutischen Interventionen bei Beendigung der Intervention und zwölf Monate nach Abschluss der Intervention nahe. Der Vorteil lag aber unterhalb der minimalen klinisch relevanten Differenz von 22 Punkten. Im Vergleich zur Kontrollgruppe wurde im Anschluss an die Intervention auch eine klinisch bedeutsame Verbesserung der globalen kognitiven Funktionsleistung beschrieben. Limitierend ist u. a. die mangelnde Beschreibung der Interventionen in den untersuchten Behandlungsarmen (insbesondere auch Art und Dosis ergotherapeutischer Interventionen in der Kontrollgruppe).
In der zweiten systematischen Übersichtsarbeit wurde die Wirksamkeit psychologischer Interventionen in der Behandlung von Depression und Angst bei Patientinnen und Patienten mit Demenz oder anderen milden kognitiven Einschränkungen geprüft (https://doi.org/10.1002/14651858.CD009125.pub3). Demenz ist eine häufige Erkrankung im fortgeschrittenen Alter. In Deutschland sind mehr als 1,5 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen. Diese Menschen haben ein erhöhtes Risiko im Verlauf der Krankheit an Depressionen oder Angststörungen zu leiden. Psychologische Intervention, wie kognitive Verhaltenstherapien, Verhaltensaktivierung, Problemlösetherapien und achtsamkeitsbasierte kognitive Therapien könnten bei der Behandlung von Depressionen und Ängsten helfen und werden in vielen Leitlinien empfohlen. Die Autorinnen und Autoren prüften daher die Wirksamkeit psychologischer Interventionen u. a. für Zielkriterien wie Depression und Angst sowie Lebensqualität und Aktivitäten des alltäglichen Lebens. Verglichen wurden die Interventionen mit sonst üblicher Therapie. Die Autorinnen und Autoren konnten 29 Studien berücksichtigen, die 2.599 teilnehmende Personen eingeschlossen hatten. Vorteile konnten nur für die kognitive Verhaltenstherapie gezeigt werden. Kognitiv verhaltenstherapeutische Behandlungen, die zur üblichen Versorgung hinzugefügt werden, reduzieren wahrscheinlich depressive Symptome bei Menschen mit Demenz oder leichten kognitiven Einschränkungen und können die Remissionsraten von Depressionen erhöhen. Möglicherweise gibt es wichtige Effektmoderatoren (u. a. Schwere der Depression, die Art der kognitiven Einschränkung oder Inhalt der Intervention). Kognitiv verhaltenstherapeutische Behandlungen haben wahrscheinlich auch einen kleinen positiven Effekt auf die Lebensqualität und die Aktivitäten des täglichen Lebens. Für die anderen Interventionen konnte entweder kein Vorteil gezeigt werden oder Zahl und Größe der Studien waren unzureichend, um den Behandlungseffekt präzise schätzen zu können.
26.04.2022
Im aktuellen Cochrane Newsletter (April 2022, Issue 51) werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen. Die Arbeiten befassten sich mit umweltgestaltenden Interventionen in der Rehabilitation von Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall zum einen sowie psychologischen Interventionen bei chronischen Schmerzen zum anderen.
Qin et al. beschäftigten sich in ihrer im November 2021 veröffentlichten Arbeit "Environmental enrichment for stroke and other non‐progressive brain injury" (https://doi.org/10.1002/14651858.CD011879.pub2) mit der Frage, ob umweltgestaltende Interventionen (englisch: environmental enrichment) in Ergänzung zur üblichen Neurorehabilitation zusätzliche Effekte auf das Wohlbefinden, die funktionelle Erholung, das Aktivitätsniveau und die Lebensqualität von Menschen mit Schlaganfall oder nicht-progressiver Hirnschädigung haben. Umgebungsgestaltende Interventionen sollen durch die Bereitstellung von Materialien, z. B. Lesestoff, Musik, Brettspiele oder Kunst, oder organisatorische Anpassungen körperliche, kognitive und soziale Aktivitäten erleichtern. Die Autorinnen und Autoren konnten in ihrer systematischen Recherche lediglich eine Studie mit 53 Patientinnen und Patienten identifizieren, die aufgrund der geringen Größe der Studie und des hohen Biasrisikos ungeeignet war, um Nutzen und Risiken umweltgestaltender Maßnahmen verlässlich zu bewerten.
Williams et al. untersuchten in ihrer Arbeit "Psychological therapies for the management of chronic pain (excluding headache) in adults" (https://doi.org/10.1002/14651858.CD007407.pub4) die Effektivität von psychologischen Interventionen bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen. Ausgeschlossen waren Kopfschmerzen oder mit Krebs assoziierte Schmerzen. Zielgrößen waren u. a. Schmerzintensität, Beeinträchtigungen, Schmerzerleben und Schmerzverhalten sowie psychisches Befinden. Psychologische Interventionen umfassten kognitive Verhaltenstherapie, Verhaltenstherapie sowie Akzeptanz- und Commitmenttherapie. Als Kontrollen wurden aktive Kontrollgruppen oder unbehandelte Patientinnen und Patienten berücksichtigt. Insgesamt wurden 75 Studien mit 9401 Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Die kognitive Verhaltenstherapie als meist untersuchte Intervention führte - vor allem kurzfristig - zu signifikant kleinen bis moderaten Verbesserungen gegenüber den Kontrollbedingungen. Die Effekte zugunsten der beiden anderen untersuchten Interventionen waren höher, aber aufgrund der deutlich geringeren Zahl eingeschlossener Patientinnen und Patienten sehr unpräzise und überwiegend nicht signifikant.
22.03.2022
In der aktuellen Ausgabe des Cochrane Rehabilitation Newsletters werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen: zum einen zur Effektivität und Sicherheit von Telerehabilitation bei chronischen Lungenerkrankungen und zum anderen zur Effektivität nicht-pharmakologischer Interventionen nach Schlaganfall zur Reduktion neuropsychologischer Symptome wie dem Neglect.
Cox et al. beschäftigten sich in ihrer Arbeit "Telerehabilitation for chronic respiratory disease" mit der Frage, ob Telerehabilitation bei Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen, wie chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) oder interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD), sicher und effektiv eingesetzt werden kann. Chronische Lungenerkrankungen sind relativ weit verbreitet. In Deutschland beträgt die 12-Monats-Prävalenz der bekannten COPD bei Frauen 5,8 % und bei Männern 5,7 %. Häufige Symptome umfassen Dyspnoe, verminderte Funktionsfähigkeit und geringe Lebensqualität. Klassische stationäre Rehabilitationsprogramme sind wirksam, die Inanspruchnahme derartiger Programme allerdings weltweit eher selten. Telerehabilitative Angebote könnten die Behandlungsmöglichkeiten verbessern, wenn sie zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Die Autorinnen und Autoren konnten 15 Studien mit 1904 Patientinnen und Patienten in ihre Übersichtsarbeit einschließen. Die Ergebnisse nach stationärer Rehabilitation und Telerehabilitation waren vergleichbar, die Adhärenz war in der Gruppe mit Telerehabilitation sogar höher. Wurde keine Intervention als Vergleich herangezogen, konnten für die Telerehabilitation leichte Vorteile im 6-Minuten-Gehtest gezeigt werden. Keine der Studien konnte Unterschiede in der Sicherheit feststellen. Die meisten Studien untersuchten Patientinnen und Patienten mit COPD. Dies erschwert die Übertragbarkeit auf andere Erkrankungen. Außerdem sehen die Autorinnen und Autoren die Qualität der Evidenz durch die Heterogenität der Interventionen, kleine Stichproben und kurze Follow-up-Zeiträume beeinträchtigt.
Longley et al. haben in ihrer Übersichtsarbeit "Non-pharmacological interventions for spatial neglect or inattention following stroke and other non-progressive brain injury" geprüft, welche nicht-pharmakologische Interventionen am effektivsten für die Behandlung des Neglects nach einem Schlaganfall sind. Diese Übersichtarbeit ist eine Aktualisierung einer früheren Version. Der Neglect ist ein seltenes neuropsychologisches Symptom des Schlaganfalls, bei dem die Wahrnehmung einer Seite des Körpers eingeschränkt ist bzw. nicht mehr vorhanden ist. Dabei können sowohl akustische, auditive und taktile Wahrnehmungen betroffen sein. Der Neglect hat Auswirkungen auf Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Nahrungsaufnahme oder Ankleiden, mindert die Lebensqualität und erhöht die Belastung von Bezugspersonen. Insgesamt wurden von den Autorinnen und Autoren 65 Studien mit 1951 Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Untersuchte Zielkriterien waren u. a. Funktionsfähigkeit in Aktivitäten des täglichen Lebens, standardisierte Tests für den Neglect, Stürze, Lebensqualität, psychologische Symptome oder soziale Isolation. Interventionen umfassten u. a. nicht-invasive Hirnstimulation, Akkupunktur, prismatische Linsenanpassung, Training des visuellen Systems oder Übungen zur Verbesserung der Körpergefühls. Keine dieser Interventionen konnte klinisch relevante Unterschiede im Vergleich mit Kontrollinterventionen feststellen. Die Qualität der Evidenz ist durch sehr kleine Stichproben und ein großes Risiko verzerrte Schätzer sehr unsicher. Zudem war die Schwere des Schlaganfalls in vielen Studien nicht klar dargestellt. Aufgrund der eingeschränkten Evidenz kann keine Empfehlung für oder gegen die untersuchten Interventionen ausgesprochen werden.
09.03.2022
Im aktuellen Cochrane Rehabilitation Newsletter werden zwei Übersichtsarbeiten besprochen, die Studien zu bewegungsfördernden Interventionen bei neuromuskulären Erkrankungen und zur Rehabilitation nach operativer Versorgung von Beugesehnenverletzungen an der Hand geprüft haben.
Jones et al. haben sich in ihrer Arbeit "Interventions for promoting physical activity in people with neuromuscular disease" mit der Frage auseinandergesetzt, welche Interventionen die körperliche Aktivität von Menschen mit einer neuromuskulären Erkrankung steigern können. Neuromuskuläre Erkrankungen sind Erkrankungen, die motorische Nervenzellen, Signalübertragung oder die Muskulatur selbst betreffen (z. B. Muskelatrophien oder diabetischer Neuropathie). Die Erkrankungen sind selten. Viele Erkrankungen sind erblich bedingt und die Krankheitsbilder sehr unterschiedlich. Hauptsymptom ist die Muskelschwäche. Die Autorinnen und Autoren identifizierten 13 Studien mit insgesamt 795 Patientinnen und Patienten. Eine Meta-Analyse wurde nicht durchgeführt. Die Interventionen variierten sehr (z. B. Training mit Gewichten oder sensorbasiertes Training). Als Vergleiche wurden keine bzw. alternative Interventionen herangezogen. Die eingeschlossenen Studien fokussierten ausschließlich Erwachsene und die Erfassung der Zielkriterien variierte erheblich. Die Autorinnen und Autoren konnten keine Veränderungen körperlicher Aktivität durch die geprüften Interventionen bestätigen, verweisen aber auch auf das hohe Biasrisiko der eingeschlossenen Studien und die sehr kleinen Stichproben.
Peters et al. haben in ihrer Übersichtsarbeit "Rehabilitation following surgery for flexor tendon injuries of the hand" versucht zu klären, welche Methoden und Verfahren am besten für die Rehabilitation nach operativer Versorgung von Beugesehnenverletzungen geeignet sind. Verletzungen der Handsehnen können durch Schnitte oder Quetschungen oder durch eine abrupte gewaltsame Streckung verursacht werden, die zu einem Abriss der Sehne führt. Beugesehnenverletzungen an der Hand sind mit einer Inzidenz von 33 Verletzungen pro 100.000 Personenjahre relativ häufig. Derartige Verletzungen führen zu Problemen wie Verkrümmung, eingeschränkter Beugung, Steifheit und verminderter Griffkraft sowie einer eingeschränkten Gesamtfunktion. Menschen mit diesen Verletzungen können in ihren Teilhabemöglichkeiten deutlich beeinträchtigt sein. Nach einer operativen Versorgung zielt die Rehabilitation auf die langfristige Wiederherstellung der Fingerfertigkeit und der Handfunktion. Zu den in der Übersichtsarbeit analysierten Zielkriterien gehörten u. a. die selbstberichtete Funktion, der passive und aktive Bewegungsumfang der Finger, Handkraft, die Rückkehr zur Arbeit oder einige weitere Zielkriterien. Die Übersicht konnte 16 randomisierte kontrollierte Studien und eine nicht-randomisierte kontrollierte Studie einschließen. Insgesamt lagen Daten von mehr 1.100 überwiegend erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor. Die Studien konnten keinen Vorteil bei zusätzlicher früher aktiver Beugung zeigen. Auch für Platzierungs- und Halteübungen in der Orthese konnten keine Vorteile gezeigt werden. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren waren die eingeschlossenen Studien allerdings deutlich zu klein, um robuste Evidenz zu generieren, welche Methoden am besten geeignet sind, um die Handbeweglichkeit wiederherzustellen.